Stadtflucht statt Landflucht?

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Mietpreise bremsen das Stadtleben aus

Die Mietpreisbremse hat versagt und der Umbau der Innenstädte zu Palästen des Geldadels nimmt weiter Fahrt auf. Doch was geschieht, wenn sich nur noch Wohlhabende und Priviligierte die unverhältnismäßig steigenden Mieten in den Städten leisten können? Müsste im Grunde ein Menschenrecht sein: von Geburt an garantierter Wohnraum.

Denkt man das Szenario elitärer Innenstädte nüchtern zu Ende, zeichnet sich auf den ersten Blick ein düsteres Bild vom Leben in der Stadt ab. Reiche flanieren auf luxuriösen Boulevards, speisen in exquisiten Restaurants und bewohnen moderne Suiten und Lofts. Sie kaufen Haute Couture und Luxusgüter, hegen einen Lebensstandard, bei dem sie jeden Tag so viel konsumieren können wie andere in einem Monat, in einem Jahr nicht verdienen. Aber wohin werden diejenigen umgezogen sein, die seit Jahrhunderten das Flair einer Stadt ausmachen? Wo werden sie wohnen und wirken: die Händler und Handwerker, die Kaufleute und Künstler – all jene, die den Charme einer Stadt ausmachen? Das „normale“ Leben wird bestenfalls in die sich immer weiter ins Umland fressenden Peripherien, in moderne Ghettos mit ihren großflächigen Industriegeländen abgedrängt oder muss zusehen, wo es bleibt. Doch birgt diese Entwicklung auch eine große Chance. Nicht nur für die Umgestaltung der Städte und neue architektonische Wohnkonzepte.

Aus Landflucht wird nun Stadtflucht

Im 18. Und 19. Jahrhundert lockten die Manufakturen der aufblühenden Industrie Hunderttausende in die Städte. Es brauchte ganze Heere an Arbeitern, um die in Kolonialgebieten entdeckten Bodenschätze auszubeuten und zu Massenwaren zu verarbeiten. Das mühsame Leben auf dem Land war für viele Anlass, dem Ruf der Städte zu folgen mit ihrer Illusion, man könne es mit der Lohnarbeit in den Fabriken zu existenzieller Sicherheit und einem bescheidenen Wohlstand bringen. Maschinen ersetzten immer mehr körperliche Schwerstarbeit und der Handel mit Waren und Konsumgütern war leicht im Vergleich zur Schufterei in ländlichen Kleinbauernbetrieben. Der Handel mit Kolonialwaren florierte und versprach schnellen Reichtum. Die Wirklichkeit sah größtenteils anders aus. Für die große Illusion tauschten die Menschen scharenweise ihre persönliche Freiheit ein. Die Großfamilie wurde zerrissen und anstelle eines selbstbestimmten Lebens machten sich die Menschen zunehmend abhängig von den Bossen, die sich großzügig „Arbeitgeber“ nannten. Und ohne es wirklich zu bemerken, verloren die Menschen ihr Wissen vom einfachen Leben, vergaßen die Erfahrungen eines selbstversorgenden Lebens innerhalb einer intakten Dorfgemeinschaft.

Jetzt, mit der digitalen Revolution im 21. Jahrhundert, werden die Arbeiter zunehmend überflüssig. Maschinen und Computer werden nicht nur nicht krank, sie streiken auch nicht. Arbeiter sind im Luxusleben der Städte eher unerwünscht und stören das schillernde Bild des Geldadels, der sich in Saus und Braus jeden Tag selbst feiern möchte. Am liebsten ohne neidische Zuschauer oder resignierte Verlierer. Eine Mietpreisbremse kann diesen Trend nur verzögern.

Aber was bedeutet das langfristig? In der Stadt wohnen nur noch diejenigen, die das Luxusleben bedienen und füttern wollen. Für Familien, Alte und Junge eher ungeeignet. Ist es nicht an der Zeit, das gute alte Dorfleben wiederzubeleben? Das muss allerdings mit modernen Werkzeugen und Hilfsmitteln geschehen, damit es fruchtet. Bis jetzt haben Städter meist noch eher ungute Assoziationen zum Dorf und Land. Rückschrittlich, anstrengend, umständlich, weltfremd. Wenn sich immer mehr Menschen das Leben in den Zentren des Kapitalismus nicht mehr leisten können, bleibt ihnen letztlich gar nichts anderes übrig, als sich aufs Land zurückzuziehen. Spätestens dann muss man sich überlegen, wie man sich auf dem Land, so gut es geht, selbst verwirklichen und versorgen kann. Leichter ist es in solidarischer und kooperativer Nachbarschaft und Gemeinschaft. Aber das ist derzeit eher die Ausnahme. Doch haben auch immer mehr ländliche und kleinstädtische Kommunen Interesse und dringenden Bedarf daran, dass Menschen wieder zuziehen. Die Abwanderung in die Stadt hat viele dieser Kommunen vor ernsthafte Probleme gestellt. Man sollte also der Wucher in den Städten als Aufforderung sehen, die einstige Landflucht umzukehren und mit der Stadtflucht zu beginnen. Wohnen auf dem Land, arbeiten in der Stadt. Die Pendelgesellschaft. Das ist eine Variante. Erstrebenswerter wäre es, und die Digitalisierung macht es möglich, wenn auf dem Land durch die Wiederbelebung und Modernisierung der öffentlichen Versorgung wieder Arbeitsplätze entstehen. Einzelhandel, Ärzte, Schulen, Dienstleistungen, Handwerker.

Stadtflucht: Die Chance auf Wiederbelebung des Landes

Bis jetzt ist ein Umzug aufs Land mit zahlreichen Schwierigkeiten verbunden. Die gewohnte, komfortable Infrastruktur der Städte fehlt. Damit auf dem Land wirklich Beweglichkeit und Handel entstehen kann, müssen alte Wege und Verkehrsverbindungen reaktiviert werden. Die Bundespolitik tut sich anscheinend schwer damit bzw. erkennt nicht die Notwendigkeit. Von dieser Seite kann man noch lange auf Unterstützung und Engagement warten. Wollen die Menschen entsprechende Schritte einleiten und ökologisch nachhaltige Veränderungen umsetzen, dann müssen sie sich auf kommunaler Ebene selbst organisieren und das Landleben infrastrukturell attraktiv machen. Von der Vorstellung, es gebe einen wohltätigen Staat, der sich ihrer Sorgen und Alltagsthemen annimmt, sollten sie sich endgültig verabschieden. Die Zeit ist zu kostbar, als sie damit zu verbringen, von Bundes- und Landespolitikern kommunales Engagement einzufordern.

Auf Bundesebene können sie beschließen, was sie wollen. Auf kommunaler Ebene bestimmen letztlich die Bürger, wie sie leben wollen. Für größere Projekte haben sie schon viele Genossenschaften gegründet, für die Versorgung mit regenerativer Energie und den Aufbau einer Solidarischen Landwirtschaft beispielsweise. Jetzt ist die regionale Verkehrsinfrastruktur dran. Und da ist vor allem ziviles Engagement gefragt. Die Türen stehen vor allem dort offen, wo ländliche Kommunen ums Überleben kämpfen. Innovative Impulse und Projekte werden von den BürgermeisterInnen meist begrüßt. Alles, was dazu dient, ländliche Kommunen wiederzubeleben, ist willkommen, wenn es zudem auch noch ökologisch wertvoll und nachhaltig eine regionale Kreislaufwirtschaft in Gang bringt.

Brücken zwischen Land und Stadt bauen

Mit dem Internet sind nicht nur viele Grenzen obsolet geworden, mit dem Internet ist auch das Land näher an die Stadt herangerückt. Nun muss auf dem Land flächendeckend ein schnelles Internet aufgebaut werden, denn es ist für moderne Menschen allein aus beruflichen Gründen unverzichtbar. Einmal vorhanden, ist es der technisch-kommunikative Nährboden, auf dem neues Leben wachsen kann. Die Bundespolitik wird dies kaum realisieren können. Politik mit kurz- und mittelfristigen Ergebnissen für eine Belebung des ländlichen Raumes findet unmittelbar in der Kommune statt, ergänzt durch die Landesparlamente.

Es gibt reichlich Konzepte, die bereits praktiziert werden. Es gilt, sie wahrzunehmen, aufzugreifen und an die Umstände vor Ort anzupassen. BürgermeisterInnen und BürgerInnen könnten die finanzielle Umsetzung gemeinsam angehen, denn die kommunalen Kassen sind aufgrund des „Dorfsterbens“ ausgeblutet.

Sobald Städter und Landbewohner ihr gemeinsames Interesse verstehen, kann Kooperation und Miteinander gedeihen. Die einen können sich ein Leben in der Stadt nicht mehr leisten und die anderen suchen händeringend Menschen, die wieder Leben in die Gemeinden und Kleinstädte bringen. Gemeinsam können sie sich für die Belebung des ländlichen Raumes engagieren und Zukunftsperspektiven entwickeln. Ladenlokale, Fabrikhallen und Wohnraum stehen genug leer. Häuser und ganze Dörfer verfallen, weil das Geld fehlt, sie zu renovieren und instandzuhalten. Was fehlt, damit beide Seiten gewinnen könnten, sind die Brücken, die fließenden Verbindungen von der Stadt auf das Land und umgekehrt: der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs und des digitalen Netzes.

Mancherorts bilden sich „Buddelvereine“, die den Ausbau des digitalen Leitungsnetzes selbst in die Hand nehmen. Bürger, Bauern, Handwerker und Unternehmer auf dem Land wollen nicht mehr warten. Sie können nicht mehr warten, bis bundespolitische Versprechungen umgesetzt werden. Sie brauchen ein schnelles Internet jetzt, damit ihre Betriebe überleben können. Die gemeinsame Betroffenheit bringt diese Menschen zusammen. In ähnlicher Weise könnte auch bezüglich der regionalen Verkehrsinfrastruktur eine Menge bewegt werden. Pfiffige Start-ups könnten die Brücken bauen, die es für die „Stadtflucht“ braucht. Es sind aber auch all diejenigen in ihrem Wohlwollen und mit ihrer Unterstützung gefragt, die erkennen, was durch eine Wiederbelebung des ländlichen Raumes, mit florierenden, regionalen Märkten gewonnen werden kann: die Umsetzung einer modernen, ökologischen Infrastruktur und eine nachhaltige Lebensweise.